Einzelprojekte

W-Überschriften im Deutschen. Empirische Untersuchung und theoretische Modellierung der Schnittstelle zwischen Satztyp und Textsorte

Gegenstand des Projekts sind sog. w-Überschriften im Deutschen. Dabei handelt es sich um selbständige Sätze mit einleitendem w-Wort und Endstellung des finiten Verbs, die nur in Überschriften oder Titeln lizensiert sind. So überschrieb die Frankfurter Rundschau im Februar 2017 einen Leitartikel zur Hungersnot in Afrika mit (1) 'Warum die Hungersnot uns angeht'. Sie hätte auch titeln können: (2) 'Die Hungersnot geht uns an' oder (3) 'Warum geht uns die Hungersnot an?' Nur mit (1) erreicht die Redaktion aber bestimmte Effekte optimal: Sie legt uns als Lesern die Überzeugung nahe, dass die Hungersnot uns angeht, und weckt zugleich Neugier auf den nachfolgenden Text, von dem wir eine Antwort auf das Warum erwarten. Dagegen würde (2) als bloße Behauptung daherkommen, die wir als Leser nicht teilen müssen und einfach überblättern können. (3) weckt zwar auch die Erwartung einer Antwort auf das Warum, scheint aber diese Antwort vom Leser zu fordern und lenkt das Interesse daher nicht in gleicher Weise wie (1) auf den nachfolgenden Text. Obwohl w-Überschriften häufig in der deutschen Presse verwendet werden (z.B. 'Was Konzernchefs verdienen', MOPO 21.9.2005; 'Wie die Hannoveraner ihre Zähne pflegen', HAZ 14.9.2007; 'Wo Ralph Giordano irrt', taz 29.5.2007), haben sie bislang in linguistischen Untersuchungen zu den Funktionen von Presseüberschriften nur eine marginale Rolle gespielt. Die These dieses Projekts ist, dass die besonderen grammatischen Eigenschaften der betreffenden Sätze, d.h. ihre selbständige Verwendbarkeit trotz formaler Markierung als Nebensatz, nur unter Bezugnahme auf die Überschrift als textlinguistische Kategorie adäquat erklärt werden können. Deskriptives Ziel des Projekts ist es, die Beziehung zwischen den syntaktischen und semantischen Merkmalen und den pragmatischen und kommunikativen Effekten von w-Überschriften mit Hilfe korpuslinguistischer Methoden erstmals umfassend zu beschreiben. Theoretisches Ziel ist es, einen Beitrag zur Klärung der grundlegenden Frage zu leisten, welche Rolle Textsorten in einem System von Satztypen und Satzmodus spielen und wie Satztypen zur Konstitution von Textsorten beitragen. Obwohl eine solche wechselseitige Interaktion vielfach angenommen wird, fehlen bislang empirische Untersuchungen dazu ebenso wie ein theoretisches Modell, das die beiden Größen adäquat aufeinander abbildet. Datengrundlage des Projekts bilden große synchrone und diachrone Zeitungskorpora des Deutschen, die im Hinblick auf die Distribution und Entwicklung von w-Überschriften quantitativ und qualitativ analysiert werden. Über spezifische Erkenntnisse zu Form, Funktion und Wandel von w-Überschriften hinaus sind von diesem Projekt übergreifende Erkenntnisse zu den Prinzipien der Interaktion zwischen Satztyp, Sprechakt und Text zu erwarten, die auch zu einem besseren Verständnis der komplexen Wechselwirkungen zwischen Grammatik als konventionellem System und Diskurs als Möglichkeitsraum der Sprachverwendung beitragen können.

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Quelle der Beschreibung: Information des Anbieters

Schlagworte

Institution

Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU)
Deutsches Institut
Abteilung Deskriptive Sprachwissenschaft
Deutschland

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