Peter Handke hat einen Selbstversuch unternommen: Ein Jahr lang schrieb er nieder, was ihm unmittelbar nach dem Aufwachen durch den Kopf ging. Seine Aufzeichnungen sind in einem Buch nachzulesen, das einen eigenen Sinn für Lyrisches, aber auch für Komisches entfaltet. (BR) Tagebücher schreiben viele, viele Schriftsteller zumal. Peter Handke, selbst ein bekannter Tagebuchschreiber, hat mit seinem neuen Band ein "Nachtbuch" verfasst, wie sein Verlag es ausdrückt, eine Sammlung von Sentenzen, Dialogschnipseln und Einzeilern. Handkes Notate sind, anders als in Tagebüchern üblich, nicht mit den Daten ihrer Entstehung versehen. So erhält ihre Zufälligkeit etwas Zeitenthobenes. Das Buch ist kein Seelenprotokoll, sondern ein freies Spiel mit den Möglichkeiten und Rätseln der Sprache. Mehrdeutigkeiten, Wortschöpfungen und Wendungen mit der Aura von Lyrikfetzen verweigern einen verständlichen Weltzusammenhang. Verbindungen im Satzmaterial ergeben sich aus den Themen, die das schlafende wie das wache Bewusstsein eben beschäftigen. Es treten Spinoza, Zadek und der Jünger Johannes ebenso auf wie "Brad Pitt bei der Müllabfuhr!" und Johnny Depp. Auch von "P.H." ist die Rede: Man stellt ihm zum Beispiel die ziemlich direkte Frage: "Und Sie, sind Sie nicht der Kriegsverbrecher?" Handkes unkommentierte Aufzeichnungen werden mitunter zur Nonsenspoesie, es ist Ironisches und Selbstironisches darin zu lesen. Anders als in der assoziativen Kette eines "möglichst fließenden Monologs", wie ihn Breton anstrebte, stehen die Eintragungen hier jedoch abgesondert im Weißraum der Buchseiten. So behalten sie jede für sich ihre mal rätselhafte, mal simple, mal bizarre Bedeutsamkeit. Und der hohe Ton, vor dem Handke bekanntlich keine Scheu hat, klingt auch in seinen Notaten vom Rand des Schlafs immer wieder an. (BR-Online)
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