Goethes zweite Schweizer Reise 1779 hätte gut die letzte des damals Dreißigjährigen sein können, und der "Werther" sein einziges bekanntes Werk. Denn das Risiko einer neunstündigen Fußwanderung über die Furka im November durch Neuschnee war unberechenbar. Aber der frisch ernannte Geheimrat hatte es auf den kürzesten Weg zu seinem heiligen Berg, dem Gotthard, abgesehen, seinen acht Jahre jüngeren Landesfürsten Carl August mitgenommen und alle Warnungen in den Wind geschlagen. Adolf Muschg liest diesen 12. November, den "weißen Freitag", die Wette Goethes mit seinem Schicksal, als Gegenstück zu Fausts Teufelswette und zugleich als Kommentar zum eigenen Fall eines gealterten Mannes, der mit einer Krebsdiagnose konfrontiert ist. Als Zeitgenosse weltweiter Flucht und Vertreibung und einer immer dichteren elektronischen Verwaltung des Lebens findet er gute Gründe, nach Vorhersagen, Warnungen und Versprechen in einer Geschichte zu suchen, die gar nicht vergangen ist. Sie handelt vom Umgang mit dem Risiko, dem auch der noch so zivilisierte Mensch ausgesetzt ist, weil er es als Naturgeschöpf mit Kräften zu tun hat, die er nicht beherrschen kann. „Der weisse Freitag» gehört zu Muschgs persönlichsten und intimsten Büchern. Indessen gibt er darin weder Spektakuläres noch allzu Delikates preis. Er ist stets der Alte, der ein stilles Vergnügen daran findet, da und dort erotisch Anstössiges hart an der Grenze des guten Geschmacks darzustellen, der mit Geistesblitzen und rhetorischer Grandezza nicht geizt, der sein Understatement pflegt und freilich eleganter und intelligenter schreibt als viele seiner Zeitgenossen. Muschg erfindet sich mit seiner Erzählung nicht noch einmal neu. Und doch ist alles anders: unmittelbarer, bewegender und freier“ (NZZ)
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