Der Mainzer Emeritus, bekannt durch Thomas-Mann-Arbeiten, legt zum 200. Geburtstag eine grandiose, voluminöse Biografie von G. Büchner vor: Er beginnt mit dem Steckbrief, bespricht ausführlich "Dantons Tod", "Lenz","Leonce und Lena" sowie "Woyzeck" und gibt dem Wissenschaftler viel Raum. Kurzke sieht in Büchner nicht den Sozialrevolutionär, auch keinen Frühsozialisten, sucht vielmehr das Christliche und die autobiografischen Parallelen und Spuren in den Werken. Die Quellenlage zu Büchner ist katastrophal, die biografischen Leerstellen werden vom Autor gefüllt, er geht erzählerisch bis ins Dialogische. "Wie könnte es gewesen sein", das Konditional übersieht der Leser schon leicht, obwohl alles akribisch belegt ist. Kurzkes Fazit über das Genie Büchner: "Wir haben die Festung Büchner mit allen Mitteln berannt, aber sie nicht nehmen können". Das Buch ist hinreißend geschrieben. Treffsichere, unverbrauchte Formulierungen und alles andere als trockene Gelehrtensprache erstaunen. Die Darstellung verlangt einen langen Atem, zumal sie an manchen Stellen (z.B. "Finanzen und Bilanzen") sehr ins Detail geht. (3) (Maria Haldenwanger) Georg Büchner (1813-1837) ist bisher vorwiegend als politischer Agitator, Frühsozialist und Vorläufer der 1848er Revolution betrachtet worden. Das Menschliche kam dabei zu kurz, ebenso das Künstlerische, das Romantische, das Psychologische, das Metaphysische und die wildwüchsige Religiosität. Steckbrieflich gesucht, in mindestens zwei Frauen verliebt, Naturliebhaber und eiserner Arbeiter, im französischen und schweizerischen Exil steile Karriere als Anatom, dann der schreckliche Typhustod mit 23 Jahren, gerade als das erste Berufsziel erreicht war. Die politische Flugschrift, deren Verfasser er war, löst eine Verfolgungs- und Verhaftungswelle aus. Er kann fliehen, fühlt sich aber schuldig, meidet fortan politische Aktionen und steckt seine Kraft in Wissenschaft und Dichtung. Er schreibt seine Dramen (Dantons Tod, Leonce und Lena, Woyzeck) und seine Erzählung (Lenz) autobiografisch und quellengestützt, das erklärt sein Tempo. Die autobiografischen Elemente wurden bisher unterschätzt. Sie bilden die wichtigste Quelle dieses Buchs. Es sucht nach dem Bedingungsgeflecht der Genialität. Die Kräfte, für die das Leben keinen Raum bietet, drängen ins Werk. Hermann Kurzke deutet Büchners Leben und Werk von den geistigen Wurzeln her, die Büchner selbst wichtig waren. „Oft genug wurde Georg Büchner für das Falsche in Anspruch genommen. Jetzt liegt uns Hermann Kurzkes große Biographie vor. Darin erzählt uns der Germanist nicht nur die Geschichte eines Genies. Vielmehr revolutioniert er unser bisheriges Bild des Dichters“ (FAZ). Ein Forscherleben lang hat Hermann Kurzke sich mit Georg Büchner beschäftigt. Jetzt, zum 200. Geburtstag, zieht er das Lektüre anregende Fazit: “Wir haben die Festung Büchner mit allen Mitteln berannt, aber sie nicht nehmen können. Wir haben das flüchtige Wild Büchner gejagt, aber nicht erlegt. Das Staunen ist eher noch größer geworden” (Platz 3 der SWR-Bestenliste, April 2013)
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