Dies ist die Geschichte einer Manipulation: Vor sechzig Jahren wurde von Militärs und Ökonomen das theoretische Modell eines Menschen entwickelt. Ein egoistisches Wesen, das nur auf das Erreichen seiner Ziele, auf seinen Vorteil und das Austricksen der anderen bedacht war: ein moderner Homo oeconomicus. Nach seiner Karriere im Kalten Krieg wurde er nicht ausgemustert, sondern eroberte den Alltag des 21. Jahrhunderts. Aktienmärkte werden heute durch ihn gesteuert, Menschen ebenso. Er will in die Köpfe der Menschen eindringen, um Waren und Politik zu verkaufen. Das Modell ist zur selbsterfüllenden Prophezeiung geworden. Es wächst ein neues soziales Monster heran, das aus Egoismus, Misstrauen und Angst zusammengesetzt ist und gar nicht anders kann, als im anderen immer nur das Schlechteste zu vermuten. Und nichts, was man sagt, bedeutet noch, was es heißt. Der Mensch ist als Träger seiner Entscheidungen abgelöst, das große Spiel des Lebens läuft ohne uns. Frank Schirrmacher zeichnet die Spur dieses Monsters nach und macht klar, dass die unbeabsichtigte Konsequenz seines Spiels das Ende der Demokratie sein könnte, wie wir sie heute kennen. „Was an Schirrmachers Argumentation interessiert, ist weniger die Frage, ob die Fakten stimmen, auf denen sie basiert, ob seine Darstellung der Spieltheorie überzeugt (tut sie nicht) oder seine Annahme über die Wirkung von Algorithmen auf unser Verhalten (kaum). Wichtiger ist der Denkstil, der charakteristisch für viele Intellektuelle ist – und alles andere als neu. Erzählt wird die Geschichte einer kulturellen Infektion. Es ist die alte Erzählung vom geistigen Brunnenvergifter, von Mächten, die es schaffen, das Denken ganzer Völker zu manipulieren, das Schlechteste in einer Gesellschaft erstarken zu lassen und alles Gute und Edle, zu dem der Mensch auch fähig ist, abzutöten. Diese Erzählstruktur, die Schirrmacher in die Sprache des IT-Zeitalters packt, gehört zum klassischen Repertoire des antimodernistischen Diskurses. Genauer: Sie ist der negative Gründungsmythos der Moderne selbst. Wie eine Krankheit breitet sich demnach das moderne Denken aus, das die Menschen mit dem süßen Gift der individuellen Befriedigung ködert, sie aus ihren traditionellen sozialen Bindungen reißt und dabei ihre Seele vergewaltigt und ihr Denken pervertiert, so dass sie schon gar nicht mehr merken, was mit ihnen passiert“ (Cicero). „Schirrmachers Buch lebt von seinen Übertreibungen und schrillen Zuspitzungen, es ist auch kein Tatsachenbericht, sondern eine Trendbeschreibung. Für seine Ausgangsthese zitiert der Autor zentnerweise Literatur, und diese These wäre auch dann noch originell, wenn sie bei näherer Überprüfung zusammenbräche wie das Kartenhaus der Lehman Brothers. Die These, die durchaus an eine Agentenfantasie erinnert, geht so: Der Kalte Krieg wurde von den Amerikanern (auch) mithilfe der Spieltheorie gewonnen, also einer Theorie, die mit komplizierten Formeln zeigt, mit welchen Schachzügen man den Gegner niederringt in der Gewissheit, dass dieser genau dasselbe vorhat. Doch dann war der Kalte Krieg plötzlich zu Ende, und die Spieltheoretiker wurden arbeitslos. Wo landeten sie? Genau: in der Wall Street“ (ZEIT). „Es geht bei „Ego“ nicht um Ideologie, auch will Schirrmacher nicht sagen, dass er Angst hat vor Finanzmarkt, Globalisierung, den Amerikanern und dem Internet. Nein, er reizt gern, er genießt die Reflexe. So reiht sich „Ego“ in die Reihe der Bücher ein, deren prominente Autorinnen und Autoren Themen nutzen, künstlich aufblasen, willkürlich Belege zusammensuchen, mit einer schwurbeligen Sprache hantieren und Missverständnisse in Kauf nehmen. Denn es geht vor allem darum, sich wichtig zu machen. Wir, die wir darüber schreiben, spielen dieses Spiel mit“ (taz)
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