Gewalt und Krankheit sind in der altnordischen Sagaliteratur wichtige Bestandteile der Handlung. Schmerz spielt dahingegen oft nur eine untergeordnete Rolle und findet sehr häufig überhaupt keine Erwähnung. Diese Beobachtung ist sowohl aus philologischer als auch aus medizinischer Sicht interessant. Die vorliegende Untersuchung widmet sich der Thematik Schmerz in der Form eines interdisziplinären Ansatzes. Als Untersuchungsgegenstand dienen die Íslendingasögur, die Konunga- und Byskupasögur sowie die Sturlunga saga. Es wird gezeigt, daß Schmerz vielfach ausgelassen, bzw. nur paraphrasiert wiedergegeben wird. Dies betrifft vor allem diejenigen Sagas, denen ein heroisches Weltbild zugrunde liegt. In den durch die christliche Lehre geprägten Byskupasögur wird Schmerz dahingegen ungleich häufiger thematisiert. In der Darstellung von Schmerz zeigt sich ein kultureller Unterschied zwischen dem schmerznegierenden Heidentum und dem Christentum als einer Religion, bei der Schmerz im Mittelpunkt steht. Darüber hinaus dienen die Byskupasögur der Verherrlichung der Macht Gottes. Mirakulöse Schmerzlinderung ist diesem Zweck überaus dienlich. Wo Schmerz ausgelassen wird, sind gestörter Schlaf und schlechte Schlafqualität geeignete Meßinstrumente, um Schmerzzustände sichtbar zu machen, denn hierüber wird in den Sagas oft berichtet. Weitere Untersuchungsergebnisse erstrecken sich auf das Phänomen schreiender Wunden, wie sie in der Fóstbrœðra Saga beschrieben werden. Eine eingehende Untersuchung dieser Stelle ist in der Sagaforschung bisher noch nicht vorgenommen worden. Offenbar ist dieses Motiv einzigartig und hat in der zeitgenössischen mittelalterlichen Literatur keine Entsprechung. Ebenfalls zum ersten Mal wird in der vorliegenden Arbeit aufgezeigt, daß verkr (Schmerz) als übergeordneter Begriff für Wundinfektionen eine Rolle spielt. Ausgewählte Textstellen werden vor dem Hintergrund aktueller Erkenntnisse über die Physiologie und Psychologie des Schmerzes analysiert. Insbesondere wird auf die Rolle von Endorphinen und ...
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