Annett Gröschner schreibt ein Buch über das Kernkraftwerk Rheinsberg und betritt damit Neuland. Noch nie hat jemand das Thema Kernenergie in Ost oder West literarisch behandelt. "Ich will nicht sagen, ich bin dafür oder dagegen, ich will nur eine Geschichte erzählen." Vom Januar bis Juni 1999 erhielt Annett Gröschner ein Stadtschreiber-Stipendium in Rheinsberg. In diesen sechs Monaten ging sie durch die Stadt und sprach mit den Kernkraftwerkern. Sie interviewte Ingenieure, Techniker, Arbeiter, den Bürgermeister, alteingesessene Rheinsberger, die Witwen von Strahlengeschädigten - all die, die als junge Kräfte in den 60er Jahren in die verschlafene nordbrandenburgische Region geholt wurden, um ein beispielloses Projekt voranzutreiben: Das erste Kernkraftwerk der DDR. 1956 war der "Kontrakt 903" geschlossen worden, ein Regierungsabkommen zwischen der DDR und der Sowjetunion. Der junge Staat sollte von den Erfahrungen der großen Atommacht profitieren und eine damals sensationell neue Technologie bekommen. Ein Kernkraftwerk mit einer Leistung zwischen 50 und 100 Megawatt war an den Ufern des Stechlins nahe Rheinsberg geplant, zeitgleich gebaut mit einem Kernkraftwerk in Nowo Woronesh. 1966 bekam das Rheinsberger Kernkraftwerk die Betriebsgenehmigung, 1990 wurde es abgeschaltet. Auf den Tag genau 35 Jahre nach der Einweihung endete am 8. Mai 2001 mit dem letzten Castortransport die "strahlende Zukunft". "Atom wird Helfer, und du siehst das Morgen, den hohen, hellen Schornstein, der nicht raucht", hatte damals jemand geschrieben, "und das war ja ein durchaus berechtigter Gedanke", sagt Annett Gröschner. "Wenn es eine Technologie gäbe, bei der dieses Land nicht ausgebaggert werden muß, für die Braunkohle..." Die Geschichte der DDR und die Geschichte der Kernkraft sind in ihrem Text untrennbar verbunden. Am Anfang Euphorie, Improvisation, aber auch Kontrolle und Bevormundung durch die Sowjetmacht. "Es gab technologisch für kurze Zeit einen Gleichstand mit dem Westen, obwohl man immer improvisieren musste. Die Ingenieure haben aus nichts etwas gemacht. Und darauf waren sie auch stolz." Später kamen Schlamperei und Mangelwirtschaft. Sicherheitsdenken wie im Westen war fremd, erst nach Tschernobyl machte man sich auch in Rheinsberg Gedanken. Eine Generalreperatur wurde aber immer wieder verschoben, weil die 70 Megawatt Leistung dringend gebraucht wurden. "In Rheinsberg habe ich mich mit einer Generation unterhalten, die am Anfang ihres Arbe ...
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