Winckelmann gilt - trotz regelmäßiger Versuche ihn zu entthronen - weiterhin als Begründer der Kunstgeschichtsschreibung. Seine Bedeutung als (Mit-)Schöpfer der deutschen Literatursprache ist dagegen etwas in Vergessenheit geraten. In meiner Dissertation 'Konstruktionen von Text, Körper und Skultpur in J. J. Winckelmanns Hermeneutik der Antike' werden beide Stränge der kulturwissenschaftlichen und wissenschaftsgeschichtlichen Interpretationsgeschichte zusammengeführt. Dabei gehe ich von der These aus, dass Winckelmanns kunsthistorischer Gründungsakt und die Entwicklung zum Schriftsteller und Autor sich gegenseitig bedingen. Verfolgt wird diese These anhand der zahlreichen Statuenbeschreibungen, die Winckelmann während seiner Karriere verfasste. Hier liegt ein Corpus an wissenschaftlich-ästhetischer Beschreibungsliteratur vor, das es aufgrund seiner thematischen Konstanz - Winckelmann hat sich immer wieder mit denselben Statuen auseinandergesetzt - erlaubt, die Veränderungen in der Gestaltung und Interpretation seiner ästhetischen Wahrnehmung und philologischer Ergebnisse genauer zu beschreiben. Winckelmann begründet die Kunstgeschichte nicht deswegen als wissenschaftliche Disziplin, weil er der erste ist, der eine Kunstgeschichte schreibt. Er wurde zur kanonischen Gründungsfigur, weil er das zentrale Problem der wissenschaftlichen Kunstgeschichte auftauchen lässt: das spannungsvolle Verhältnis von ästhetischer Erfahrung und philologischer Detailforschung, von historiographischen Konzepten und ästhetischen Objekten. Winckelmanns Statuenbeschreibungen lassen sich als einer der frühesten Formulierungen des Dilemmas der wissenschaftlichen Kunstgeschichte interpretieren. Zugespitzt lautet es: Verfehlt die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Kunst nicht die Kunst an der Kunst? Winckelmann lässt dieses disziplinäre Grundproblem auftauchen, in dem er es löst: mit Stil. Von Beginn an ist der Stil das Merkmal des Winckelmannschen Textes, das ihn von den zeitgenössischen antiquarischen Werken unterscheidet. Für ...
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