Rudolf Hickel: V O R W O R T: Mut zur erfolgreichen Alternative. Nach über 15 Jahren der deutschen Einigung fällt die Bilanz der politisch propagierten ökonomischen Angleichung Ostdeutschlands an die westdeutschen Produktions- und Lebensverhältnisse enttäuschend aus. So erreichte das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner in Ostdeutschland gegenüber der westdeutschen Wirtschaftskraft im vergangenen Jahr nur 67%. Zur Beschreibung der sozial-ökonomischen Unterschiede gehört ebenfalls die Tatsache, dass die Entgelte je Arbeitnehmer in Ostdeutschland in 2005 auf 77, 7% des westdeutschen Niveaus sogar gegenüber dem Jahr davor leicht zurückgefallen sind. Ostdeutschland muss nach wie vor als eine Dependenzökonomie charakterisiert werden. Die inländische Produktion reicht bei weitem nicht aus, die ostdeutsche Binnennachfrage zu bedienen. Die öffentlichen Finanztransfers dienen maßgeblich der Finanzierung der sog. „Importe“, die vorwiegend aus Westdeutschland kommen. Die ostdeutsche Exportquote ist gegenüber Westdeutschland aus wirtschaftsstrukturellen Gründen extrem niedrig. Sicherlich verzeichnet die Bilanz zur ökonomischen Transformation Ostdeutschlands auch Erfolge. Dazu gehören die industriellen „Leuchttürme“ in vernetzten Wachstumszentren, wie etwa in der Region Leipzig-Dresden. Insgesamt dominiert jedoch eine kleinteilig strukturierte Industrie, die aus eigener Kraft nicht in der Lage ist, in die Entwicklung neuer Produkte und Prozessinnovationen zu investieren. Viele, vor allem größere Betriebe sind „Werkbänke“, die maßgeblich von den Unternehmenszentralen in Westdeutschland gesteuert werden. Die nach einem anfänglichen Aufholprozess einsetzende Stagnation der Entwicklung zu einer leistungsfähigen, stark verflochtenen Unternehmenswirtschaft verlangt eine schonungslose Untersuchung der Ursachen. Nur wenn die Ursachen zutreffend identifiziert sind, lässt sich eine erfolgreiche Strategie mit einem Bündel von Instrumenten benennen. Maßgeblichen Einfluss auf die stagnierende Transformation haben heute noch nachwirkende Fehlentscheidungen beim Start in die sozial-ökonomische Vereinigung.[i] Dazu gehört die schnelle Einführung der Währungsunion zum 1. Juli 1990. Einem „monetären Urknall“ vergleichbar wurde die damalige DDR-Ökonomie über Nacht dem Diktat der international gehärteten D-Mark ausgesetzt. Dieser gigantische Aufwertungsschock musste zum Zusammenbruch auch der konkurrenzfähigen Teile von DDR-Unternehmen führen. Durch den Transport der kapitalistischen Produktionsverhältnisse über die DM-Währung sind Alternativen, wie ein dritter Weg, erdrückt worden. Heute ist umstritten, ob anstatt des DM-Imperialismus eine längere Phase eines Regimes zweier Währungen mit einem Wechselkurs realisierbar gewesen wäre. Die Skepsis ist groß. Denn bei freier Konvertierbarkeit wäre die tägliche Flucht in die stärkere Währung enorm und ein einigermaßen stabiler Wechselkurs kaum machbar gewesen. Erinnert sei hier auch an die massenhafte Forderung der „DM-jetzt!“-Bewegung in Ostdeutschland. Gewiss ist jedoch, dass die westdeutsche Finanz- und Wirtschaftspolitik zur Bewältigung der negativen Folgen des DM-Imports alles falsch gemacht hat, was falsch zu machen war. Der Grund dafür liegt in dem ideologisch ausgeprägten Unverständnis für die Anforderungen an eine Transformationsökonomie. Hinzukam die katastrophale Politik der Treuhandanstalt (THA). Deren Urfehler liegt in ihrem dominanten Interesse, die vorhandene Unternehmenssubstanz schnell an die westdeutschen Verhältnisse anzugleichen. Die Folge war eine Filettierung, mit der abertausende Arbeitsplätze vernichtet worden sind. Weniger vornehm gesprochen, die THA hat vielfach den westdeutschen Unternehmen dazu verholfen, entweder die potenzielle Konkurrenz aus Ostdeutschland zu vernichten, oder aber profitable Werkbänke einzurichten. Die THA hat maßgeblich die Verantwortung dafür, dass heute eine kleinteilige, werkbankbezogene Unternehmensstruktur dominiert. Schließlich sind dann noch ordnungspolitische Fehler im Einigungsvertrag (Vorrang für Restitution privatwirtschaftlicher Alteigentümer) gemacht worden. Sicherlich sind aus den öffentlichen Haushalten hohe Finanztransfers seit 1970 geflossen. Wären diese Finanzmittel jedoch auf eine politisch gestaltete Transformation konzentriert worden, hätte eine hohe sozial-ökonomische Rendite der Transformation erzielt werden können. In der Politik wie überhaupt in der in der westdeutschen Öffentlichkeit zeigt sich nach über 15 Jahren deutsche Einigung eine Interesselosigkeit gegenüber den Ursachen der stagnierenden Transformation, die durch hohe Arbeitslosigkeit gekennzeichnet ist. Böse Ideologien, ja Beschimpfungen verdrängen den klaren Blick. Die Vorwürfe sind bekannt: Die Ossis seien doch selbst schuld. Die öffentlichen Finanzen, vor allem der Solizuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuerschuld, seien in viel zu teuere Projekte – wie „öffentliche Schwimmbäder mit goldenen Hähnen“ - versenkt worden. Peinlich ist in diesem Zusammenhang die Rolle der vorherrschenden Wirtschaftswissenschaft. Anstatt die Ursachen zu ergründen und angemessene Konzepte zu entwickeln, soll Ostdeutschland als Labor für weiteren Lohnabbau sowie eine umfassende Deregulierung, d.h. Abbau gesetzlicher Regulierungen zurechtgetrimmt werden. Am Ende decken sich die meisten wirtschaftswissenschaftlichen Vorschläge mit dem, was auf der Agenda der Unternehmensverbände und der Kapitalfunktionäre steht. Gegen diese Mischung aus neoliberalem Reduktionismus und Unkenntnis der real existierenden Verhältnisse ist Aufklärung erforderlich. Es gibt zwar vereinzelt Gegenansichten, zu denen auch alternative Vorschläge einer an den Zielen Arbeit, soziale Gerechtigkeit und Umwelt ausgerichteten Wirtschaftspolitik gehören. Umso bedeutsamer ist das hier vorgelegte Buch, in dem ausgewiesene Experten die Ursachen der sozial-ökonomischen Herausforderungen untersuchen und alternative Vorschläge unterbreiten. Die in diesem Buch vereinten Experten bieten zwei, die Qualität dieser Veröffentlichung prägende biografische Eigenschaften. Zum einen haben die Wissenschaftler in der DDR bereits gearbeitet. Im Unterschied zum Wessi-Import kennen sie die Schwächen, aber auch die Stärken dieses Wirtschaftssystems auf der Basis von Staatseigentum. Zum anderen begleiten sie wissenschaftlich engagiert den Prozess der sozial-ökonomischen Transformation. Sie haben ihre Erfahrungen und Kenntnisse in die „Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik“ eingebracht. Die westdeutsche Gründung erfolgte 1975 und richtete sich gegen die Kette, der zufolge die Gewinne von heute, die Investitionen von morgen und Arbeitsplätze von übermorgen schaffen. Damals wie heute wendet sich dieser linke Denktank gegen die neoliberale Marktanbetung und unterbreitet Jahr für Jahr Vorschläge zur politischen Gestaltung der Wirtschaft. Bereits im ersten Jahr der deutschen Einigung sind WirtschaftswissenschaftlerInnen aus der ehemaligen DDR zur Memo-Gruppe gestoßen. Seit dem produzieren sie Jahr für Jahr das wichtige Kapitel zur ostdeutschen Transformation. Darüber hinaus konzentrieren sich ihre publizistischen Aktivitäten auf Veröffentlichungen in unterschiedlichen Quellen. In diesem Buch werden die wichtigsten Beiträge der hier versammelten Experten aus den vergangenen Jahren zusammengebracht. Die Beiträge zeichnen sich durch analytischen Tiefgang sowie eine empirische Absicherung der Aussagen aus. Durch die geschickte Zusammenführung der einzelnen Beiträge werden Synergien hergestellt, die diesem Buch eine eigenständig hohe Qualität verleihen. Ich wünsche dieser analytisch fundierten, empirisch abgesicherten und praxisrelevanten Gegensicht eine weite Verbreitung. Dieses Buch sollte nicht auf den Schreibtischen bzw. in den Handapparaten der PolitikerInnen, der Unternehmen, der Kapitalfunktionäre, der Verbandsvertreter sowie der wirtschaftswissenschaftlichen Akademien und Institute liegen bzw. stehen, sondern ernsthaft studiert werden. Es lohnt sich, denn dieses Buch hat die Kraft, selbst hartnäckige Vorurteile zu knacken. Den auf monetäre Kosten-Nutzen-Analyse Fixierten sei die Überlegung nahe gelegt. Möglicherweise kann mit der Realisierung der wichtigsten Vorschläge in diesem Buch eine hohe soziale Rendite einer politisch gestalteten Transformation gegenüber dem derzeitigen, neoliberalistischen „muddling through“ durchgesetzt werden.
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