Diese besondere Form von Zeugenschaft, die ich hier als eine dialektische Form zwischen Kunstwerk und Zeugnis analysiert habe, erfordert daher eine Lektüre, die sich des hybriden Wesens, der grundlegenden 'Unreinheit' und der paradoxen Poetik des Textes bewusst ist. Jeder kulturwissenschaftliche und philologische Interpretationsversuch dieser von Überlebenden geschriebenen Texte sollte die Herausforderung, die durch diese ganz eigene Form der Weitergabe gestellt wird, annehmen und versuchen, sowohl das Archiv, den Beweis, das literarische Werk und die Klage als Bestandteil derselben anzuerkennen. In dieser Hinsicht lädt der Text von Abraham Levite dazu ein, die Verhältnisse zwischen Kunst und Zeugenschaft im Zeitalter der "Krise der Zeugenschaft" neu zu denken. Denn Levite schlägt nicht etwa vor – wie es Shoshana Felman in Hinblick auf Shoah von Claude Lanzman suggeriert – die 'Kunst der Zeugenschaft' als Prozess einer Stimmenverleihung durch die Kunst und den Künstler an die zum Schweigen gebrachten Opfer zu definieren. Die Kunst, die hier definiert wird, ist vor allem schon die Kunst der Opfer, die Kunst der Zeugen selbst. Diese Kunst wird nicht, wie bei Shoshana Felman, in den Zeugenstand berufen, um der Krise des westlichen Gesetzes der Evidenz entgegenzuwirken und die Geschichte der Opfer zu gründen. Die Opfer sind es, welche die göttliche wie menschliche Gerichtsszene eigens heraufbeschwören und sie selbst gestalten, um ihre "Stimme des Weinens" laut werden zu lassen.
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