Ich würde sagen, dass diese Stabilität die Grundvoraussetzung auch von Zeugenschaft in anderen Kontexten ist, etwa im Gericht, im Journalismus oder in der Politik. Letztlich in allen Kommunikationsformen, mit denen wir die Wirklichkeit abzubilden, zu beschreiben und letztlich herzustellen versuchen. Wenn die Identität des Zeugen nicht eindeutig ist, dann ist er für eine zuverlässige Aussage unbrauchbar. Diese ist aber für eine dokumentarische Erzählung bzw. für den nicht-fiktionalen Vertrag zwischen Publikum und Produktion eine Voraussetzung. Es muss klar sein, dass die aussagende oder bezeugende Person auch tatsächlich diejenige ist, für die sie sich ausgibt. Das ist eine Grundbedingung aller dokumentarischen Genres, eine notwendige Fiktion, mit der wir eine Vorstellung von Wirklichkeit produzieren. Wir gehen davon aus, dass der Journalist und sein Gesprächspartner in einem Fernsehinterview "echt" sind und sich nicht im Nachhinein als Betrüger herausstellen; wir gehen davon aus, dass die Person, die über Folterungen in Konzentrationslagern berichtet, diese auch tatsächlich selbst erlebt oder zumindest gesehen hat. Von dieser Grundbedingung müssen wir ausgehen, um gemeinsam eine stabile Idee von Wirklichkeit zu entwickeln, über die wir uns verständigen können. In der alltäglichen Erfahrung blenden wir diesen produktiven Aspekt der Konvention meistens aus, müssen ihn sogar ausblenden. Das wirkt auch ins dokumentarische Theater hinein: Wenn jemand mit seinem eigenen Namen auftritt, ordnen wir die Aussagen seiner Person zu.
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